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Etwas Anatomie
Bevor ich genauer beleuchte, warum das so ist, sollten wir ein wenig in die Anatomie einsteigen.
Der Psoas ist ein Teil des Iliopsoas. Dieser besteht aus den drei Anteilen Musculus iliacus, Musculus psoas major und Musculus psoas minor.
Der Psoas-Muskel ist ein sehr kräftiger Muskel, der tief in unserem Körper sitzt. Er verläuft von der Brustwirbelsäule zur Innenseite unseres Oberschenkels. Dabei ist er der einzige Muskel, der die Wirbelsäule mit den Beinen verbindet.
Der Psoas verleiht uns Stabilität. Ohne ihn könnten wir uns nicht aufrecht halten. Außerdem ist er unser größter Hüftbeuger. Er hebt das Bein an. Wir benötigen ihn zum Laufen und auch zum Treppensteigen. Bei einseitiger Anspannung kann er die Lendenwirbelsäule zur Seite neigen.
Häufig ist der Psoasmuskel verkürzt und verspannt
Der Psoas steht direkt mit dem Reptiliengehirn in Verbindung. Das ist der älteste Teil unseres Hirnstamms, der direkt nach der Geburt bereits voll entwickelt ist. Dieser ist für lebenswichtige Bereiche wie die Atmung, den Herzschlag und die Nahrungsaufnahme, aber auch für Kampf, Flucht und den Totstellreflex zuständig. Wird der Angstreflex ausgelöst, spannt neben anderen Muskeln auch der Psoas ganz automatisch an und macht sich für den Kampf und zur Flucht bereit. Denn er ist der Muskel, der durch seine Verbindung der Beine mit der Wirbelsäule die Flucht ermöglicht. Angst kann auch dazu führen, dass wir uns wie ein Embryo einrollen. Dadurch schützen wir bei Gefahr unsere Eingeweide. Wieder spannt der Psoas an. Diese Aktivierung der Fluchtmuskeln ist ein wichtiger Überlebensmechanismus.
Das gilt auch für Kinder, die in einer unsicheren Umgebung aufwachsen und physische oder psychische Gewalt erfahren. Kleinste Vorkommnisse können triggern, Ängste hervorrufen und die Bereitschaft für Flucht dauerhaft aufrechterhalten.
Ist die Gefahr vorüber, kann der Körper wieder entspannen. Doch unser moderner Lebenswandel und dem damit in Verbindung stehenden Dauerstress lässt keine Entspannung mehr zu. Dadurch wird der Körper ständig mit Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol versorgt. Das passiert im Übrigen auch bei übermäßigem und andauernden Kaffee-Konsum. Der Psoas bleibt unter Daueranspannung. Der Körper ist also ständig auf der Flucht.
Durch langes Sitzen verkürzt und verspannt der Psoas. Im Gehirn wird die Verspannung registriert. Hier geht das Signal den umgekehrten Weg im Körper. Der Muskel ist durch langes Sitzen also erst verspannt. Es gibt eine Rückkopplung ans Gehirn, dass der Psoas anspannt und diese löst wiederum Stress und Angst aus.
Der Muskulus iliopsoas hat Gegenspieler, sogenannte Antagonisten. Das sind im Wesentlichen die Bauchmuskeln und die Gesäßmuskeln. Diese halten die Gegenspannung und kommen ebenfalls in Dauerstress, wenn der Psoas nicht mehr nachlässt. Ein Teufelskreis entsteht.
Was sind die Folgen eines dauerhaft angespannten Psoas?
Ein über längere Zeit verspannter Psoasmuskel kann eine Vielzahl von Beschwerden auslösen.
Er zieht uns ins Hohlkreuz. Wir können nicht mehr ausgestreckt auf dem Rücken liegen ohne Schmerzen. Im Alltag entstehen Rückenschmerzen in der Lendenregion bis hin zum Bandscheibenvorfall. Auch in der Hüfte oder im Bereich des Ischias kann es zu Beschwerden kommen. Ein einseitig verspannter Psoas hingegen kann zu einem Beckenschiefstand führen.
Durch viel Sitzen verkürzt sich der Muskel. Ein verspannter Psoas verengt den Bauchraum. Die Blutversorgung wird dadurch beeinträchtigt und das hat wiederum Auswirkungen auf die Organe. Eine eingeschränkte Organfunktion beeinträchtigt die Verdauung und auch den Stoffwechsel und die Nährstoffaufnahme.
Auch interessant ist die Verbindung von Psoas und Zwerchfell über Faszien. Die Spannung des Psoas kann sich auf das Zwerchfell übertragen. Das führt zu einer flachen Atmung, die wir häufig garnicht bemerken. Es entstehen Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen und Müdigkeit.
Die Daueranspannung sorgt außerdem dafür, dass immer weiter Stresshormone produziert werden und im Körper dauerhaft verweilen. Die Nebenniere, die diese Hormone produziert, läuft auf Hochtouren, bis sie schließlich erschöpft. Darunter leidet auch das Immunsystem.
Es gibt also eine Vielzahl an Auswirkungen auf unserem Körper, die durch Dauerstress ausgelöst werden.
Bewusstsein ist der beste Schlüssel zu einem entspannten Psoas
Geht es dem Psoas gut, profitiert die Seele davon. Denn ein kräftigter aber entspannter Psoas verhilft uns dazu, dass wir uns von innen heraus stabil und fest verankert im Leben fühlen. Wir sind geerdet und mutig. Wir empfinden Wohlgefühl, Balance und Vitalität. Wir befinden uns in physischem und psychischem Gleichgewicht. Ein entspannter Psoas lässt beschwingtes Gehen zu und verleiht spielerischen Ausdruck, Freiheit und Leichtigkeit.
Die Verbindung zum Hirnstamm, der unser Überleben sichert, erklärt auch die Nähe zu den Emotionen. Auch die Traumatherapie geht davon aus, dass negative Erfahrungen, sowie Schock und Trauma im Psoas gespeichert werden. Daher wird diesem Muskel immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Denn das ist genau der Muskel, der bei Gefahr anspringt. (Aber auch an anderen Stellen im Körper kann Trauma gespeichert sein).
Wird der Psoas entspannt, kann diese Traumaenergie wieder freigesetzt werden. So ist es also eine gute Idee, sich bei Stress gezielt um den eigenen Psoasmuskel zu kümmern. Wenn wir uns nun darüber bewusst sind, dass der Psoas bei Stress sofort anspannt und bei Dauerstress nicht mehr nachlässt, können wir auch verstehen, warum Dehnungsübungen nur bedingt helfen. Denn die Anspannung lässt trotz Dehnung nicht oder nur kurzfristig nach, da sich der Körper in einer Dauerschleife von Angst und Flucht befindet. Die Muskulatur bleibt durch die Stresshormone, die kontinuierlich von der Nebenniere ausgeschüttet werden angespannt.
Die Dauerschleife Stress muss im Körper beendet werden, damit der Psoas wieder entspannen kann.
Regelmäßige Spaziergänge in der Natur bringen den Psoas in Schwung und bauen zudem Stresshormone, die sich im Gewebe angesammelt haben ab. Gerade Menschen mit sitzenden Tätigkeiten können davon profitieren, wenn sie im Alltag immer wieder Bewegung einbauen. Treppensteigen statt Aufzugfahren. Weniger Autofahren, mehr Radfahren. Weniger sitzen und mehr gehen. Dabei geht es nicht darum, möglichst intensiven Sport zu machen. Denn Leistungssport und der Druck vom Erreichen von Zielen kann die Ausschüttung von Stresshormonen sogar befeuern, während leichte, nicht zu intensive Bewegung Stresshormone abbaut.
Es ist ganz unabdingbar, bei Dauerstress den eigenen Lebenswandel zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern. Ausatmen, Achtsamkeit, Innehalten und die Präsenz im jeweiligen Moment können dem Körper immer wieder die Rückkopplung geben:
"Ich bin im Hier und jetzt. Ich bin sicher. Ich kann entspannen."
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